Om Keramik jenseits von 'Kulturen'
Mobilität ist für Formen des sozialen Zusammenlebens grundlegend. Doch welche Rolle spielte räumliche Mobilität in der Vergangenheit? Aus prähistorischen Zeitabschnitten wie etwa dem Neolithikum ist dazu noch immer wenig bekannt. Das gilt auch für die Siedlungsräume des nördlichen Alpenvorlandes. Deren Feuchtbodensiedlungen mit den hervorragend erhaltenen Resten in Seen und Mooren gehören seit 2011 zum UNESCO Welterbe und bieten eine einzigartige Forschungsgrundlage. Die dendrochronologisch datierten Siedlungen eröffnen die seltene Möglichkeit, kulturelle, soziale und ökonomische Transformationen zeitlich und räumlich hochauflösend zu untersuchen. Das gelingt im vorliegenden Band anhand der Keramik aus zeitgleich datierten Siedlungen am Zürichsee und Bodensee aus der Zeit zwischen 3950 und 3800 v.Chr.
Prozessphilosophische Überlegungen zum Entstehen und dem Wandel von ¿Dingen¿ werden mit relationalen sozialtheoretischen Konzepten wie etwa dem Habitus-Theorem zu einem praxeologischen Ansatz verbunden. Dieser dient als epistemologische Grundlage einer neu ausgearbeiteten ¿Mixed Methods Research¿-Methodologie, die ein tieferes Verständnis von Mobilität, Beziehungsgeflechten, sozialen Konfigurationen und Transformationen ermöglicht: Mit qualitativen Klassifikationsmethoden können soziale Praktiken der Keramikherstellung aus der Handlungsperspektive nachvollzogen werden und mit quantitativen Klassifikationsmethoden überregionale Muster der Keramikkonsumption. Anhand solcher materieller Verflechtungen werden Muster räumlicher Mobilität sowie die weitreichenden Beziehungen der jeweiligen Siedlungsgemeinschaften erkennbar. Im Rhythmus einzelner Dekaden lassen sich mobilitätsbezogene Aneignungsphänomene und Transformationen in den Keramikpraktiken nachvollziehen. Darüber hinaus führt die Kombination einer subjektivistischen mit einer ¿objektivierten¿ Haltung im Forschungsprozess auf Basis von Pierre Bourdieus Epistemologie, der Praxeologie, zu einem erkenntnistheoretischen, metamodernen ¿dritten Weg¿, der zwischen dem Realismus der Moderne (Prozessuale Archäologie) und dem Konstruktivismus der Postmoderne (Postprozessuale Archäologie) vermittelt. Dadurch werden kulturhistorische Gesellschaftsmodelle dekonstruiert, welche ¿Kulturen¿ als vermeintlich statische, homogene, räumlich klar abgrenzbare Entitäten konzeptualisierten. Stattdessen verweist die Keramik auf translokale soziale Konfigurationen, durch welche die Siedlungen während des 4. Jahrtausends v.Chr. im nördlichen Alpenvorland miteinander verbunden waren.
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